Kunst@Hellweg- Endlich ein neues Verständnis von Kunst zur Jahreswende!
Philipp Schröder, Tarik Turmaz, Paul Wagner und Philip Savchenko aus der 7a präsentieren ihre künstlerischen Interpretationen vom Morgengrauen.
„Ich bekomme immer zu hören, dass viele ‚Kunst‘ nur mit Mädchen in Verbindung bringen“, brechen Frau Schierwaters bedauernde Worte die Stille in Herrn Jakats Büro. Worte, die so gar nicht zu der feierlichen Premiere der neuen Resultate des Projektes „Kunst@Hellweg“, passen. Doch der angedeutete Frust pflastert nur den Weg zu einem großen Lob: „Endlich sieht man jetzt mal das Gegenteil, denn auch die Jungen sind oft ganz toll in Kunst!“
Wenn solch überspitzte Aussagen jemand allzu oft hört, ist es freilich die Kunstlehrerin der 7a. Stereotypisches Gedankengut, das insbesondere in Anbetracht der brandneu gestalteten Bürowand unseres stellvertretenden Schulleiters rückständig scheint. Dem ein oder anderen scheint es also ein Dorn im Auge sein, wenn Vertreter des mutmaßlich robusteren Geschlechtes kreativ werden und ihr Innenleben zum wertvollsten Bestandteil ihrer künstlerischen Arbeit machen. Andere wiederum sehen in Kunst per se schlichtweg keinen Sinn. Höchstens wird sie noch dafür anerkannt, hohe Summen an Geld zu generieren, vermeintlich oft lediglich durch gedankenlose Pinselei. So oder so – das Verständnis von Kunst scheint in vielerlei Hinsicht mit Skeptizismus und Kontroverse besetzt.
Im zweiten Anlauf von Kunst@Hellweg profiliert sich das immer noch ziemlich junge Projekt damit, indessen alte Maßstäbe nicht bloß neu zu setzen, sondern vollständig niederzureißen.
Man mag es nämlich kaum glauben, aber in der Kunst hinterlassen Vertreter wirklich jeden Geschlechts eine ganz individuelle Signatur in ihren Werken. Dabei müssen sie noch nicht einmal eine in Symbolen verborgene Absicht verfolgen. Dieser Annahme liegt ein fundamentales Missverständnis zugrunde. Kunst hat freilich nicht immer einen Verwendungszweck, der vor der Gestaltung aktiv eingeplant werden soll. Jedoch bildet sie schlussendlich doch Fingerabdruck ihrer Schöpferin / ihres Schöpfers ab, der auf den ersten Blick für den Betrachter nicht in all seinen Facetten erkennbar daliegt. Interpretation von Kunst ist somit nicht unsinnig und erst recht nicht anmaßend. Schließlich gibt es in ihr immerzu so viel mehr von ihrer Gestalterin / ihrem Gestalter zu entdecken, als gelegentlich ein paar schwammige Sinnbilder. Die Zeit war also reif zu beweisen, dass Kunst vor allem für mehr als nur ihre oberflächliche Wirkung geschätzt werden sollte.
Doch nun von der Theorie in die Praxis:
Ursprünglich waren vier brandneue Malereien auf Leinwand einer Unterrichtseinheit entsprungen, durch welche die SchülerInnen der 7a die Flexibilität von Kunst erdulden und ausschöpfen sollten. Dabei lautete das scheinbar widerstreitende Gebot der Doppelstunden, mithilfe der drei Komplementärfarben Blau, Gelb und Rot eine landschaftliche Harmonie zu schaffen. Als Hilfsmittel fungierten die Farben Schwarz und Weiß, gegebenenfalls ebenso fotografische Vorlagen von der Natur. Scheinbar ein hageres Repertoire, das jedoch durch die Geheimwaffe der Vorstellungskraft und intuitiven Gestaltung ergänzt wird. Eine Aufgabe, die Individualität wertschätzt und wiederum versucht, den KünstlerInnen eben diese Fähigkeit zu lehren. Frau Schierwater wählte vier besondere Resultate für Herrn Jakats Bürowand aus ihrem Unterricht aus, um auch den Jungs eine Chance zu geben, ihre erfolgreichen Arbeiten der Öffentlichkeit präsentieren zu können.
Das Gruppenfoto von Marie Kulm aus der Q2 zeigt die Schüler unter ihren jeweiligen Werken, welche nun von links nach rechts vorgestellt werden.
Philipp Schröder beginnt den spannenden Exkurs in die Mentalität der Kunst.
„Wir sollten ein Foto im Morgengrauen abmalen.“ Das klingt zunächst so, als wäre Einzigartigkeit schlussendlich doch trockener Nachahmung gewichen.
Seine anschließenden Ausführungen nehmen Zweiflern jedoch wortwörtlich den Wind aus den Segeln!
„Mein Bild stellt einen sehr windigen, stürmischen Herbsttag dar. Meine Intention war, dass ich auf jeden Fall eine stürmische und wilde Herbstlandschaft abbilden wollte.[…]Während der Pandemie konnte man nicht viel mehr machen, als spazieren zu gehen und dieser Eindruck ist während dieser Zeit deshalb bei mir entstanden. Die Grundidee stammt also aus meinen Kopf und die Details habe ich langsam eingebaut.“
Stürmische Zeiten? Die herrschen fraglos weiterhin! In Tarik Turmaz Bild geht es dennoch überraschend ruhig und still zu. „Mein Bild wirkt eher realistisch. Ich hatte jetzt auch keine Intention, irgendetwas symbolisch darzustellen.“ Jedoch räumt der junge Künstler kurz darauf ein, die restliche Gestaltung seines Bildes intuitiv nach einer verschwommenen Pinselführung bzw. nach dem „Duktus“ gerichtet zu haben.
Auf die Nachfrage, ob in die künstlerische Gestaltung dementsprechend auch seine Gefühlslage einfloss, reagierte er mit einem überraschten Nicken. Auch Launen haben nachweislich also einen außergewöhnlichen Charakter.
Paul Wagner schreibt Kunstwerken höchstens widerwillig eine tiefergehende Botschaft zu. Dabei könnte sein Bild das mit Abstand persönlichste an Herrn Jakats Bürowand abgeben. Es zeige einen Strand in Dänemark, wie er ihn vor zwei oder drei Jahren im Urlaub fotografiert habe. Dabei sei er jedoch von selbst auf den Geschmack intensiver, freundlicher Farben gekommen. Möglicherweise, weil ihm Malen so viel Spaß mache und er damit viel Fröhlichkeit verbinde. Sein wohl eklatantestes Erkennungszeichen hat er durch einen kleinen Ausrutscher auf der zunächst originalgetreuen Landschaft hinterlassen. „In die Mitte ist ein großer Wassertropfen gelangt. Dann musste ich das Bild noch irgendwie retten.“ Nicht, dass sein Werk nun wie ein Unfall wirkte – es mutet sich sogar irgendwie belebter und anziehender an. Denn die ursprüngliche Szenerie wirkte buchstäblich menschenverlassen. Schlussendlich hat Paul der Natur derweil eine nur allzu menschliche Note verpasst!
Das vierte Bild fesselt einen jeden Betrachter mindestens genauso, wie den Künstler, Philip Savchenko, selbst. Die Alpenlandschaft in Garmisch-Partenkirchen existiert zwar wahrhaftig, doch es ist eindeutig die Persönlichkeit des Schülers, die diese simple und überschaubare Landschaft zum Leben erwecken kann. „Ich mag den Herbst sehr gern und deshalb war es mir wichtig, seine vielen verschiedenen Farben darzustellen. Meine Intention war, zu zeigen, dass der Herbst zwar eine dunkle, gleichzeitig aber auch eine bunte Jahreszeit ist.“ Tatsächlich sticht die Vielzahl an Grüntönen unmittelbar ins Auge und haucht der wohlgemerkt etwas faden Landstraße ein wildes und abenteuerliches Flair ein. So widersprüchlich die Wirkung dieses Bildes ist, so ist es wohl ganzheitlich der Inbegriff eines wertvollen Charakterzuges.
Folglich spiegelt es zweifellos die Fähigkeit wieder, das Schätzenswerte aus den dunklen Zeiten herauszuarbeiten.
Schlussendlich ist Kunst mehr als nur Farbe, die auf Leinwand oder Papier trifft. Sie dringt deutlich weiter, tief bis ins Unterbewusstsein und lässt uns erst scheinbar geringfügige Entscheidungen bei der Bildgestaltung durchleuchten. Genau deshalb gelingt es Kunst@Hellweg auch in der zweiten Runde so wunderbar, dem Mehrwert von Kunst für Jung und Alt wieder Gehör zu verschaffen. Sinnfrei ist sie daher keineswegs, ganz im Gegenteil zu der benannten Kritik an ihr. Sie ist nun mal nicht immer ausgesprochen leichte Kost, weshalb sie ohne weiteres oft grob auf ihre offensichtlichsten Komponenten reduziert wird. Ihre Aussagekraft wird schlechthin übersehen.
Dabei bietet der Blick an die Wand im Büro doch den äußerst verlockenden Mehrwert, insbesondere in Zeiten von Schul- und Corona-Stress gedanklich für eine Weile in andere Umgebungen, sogar unbeschwertere Welten abschweifen zu können.
Die vier Jungs jedoch geben sich bemerkenswert reflektiert und widersetzen sich unermüdlich jener Anziehungskraft. Eventuell fällt ihnen das so leicht, weil sie mit dem Rücken zur Wand sitzen.
Abschließend kommentiert der stellvertretende „Museumsdirektor“ Herr Jakat das beispiellose Ambiente mit den Worten: Danke, dass ich diese tollen Werke hier an meiner Wand haben darf. Macht weiter damit!
Wenn das mal keine passende Botschaft ist!
Levinia Holtz (Hellweg-Schülerin aus der Q2)